Erfolgreiche Fitnessroutinen aufbauen (Teil 1): Die wissenschaftliche Grundlage
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Die Herausforderung, regelmässige körperliche Aktivität in den Alltag zu integrieren, kennen viele Menschen nur zu gut. Drei Monate nach den Neujahrsvorsätzen haben es einige geschafft, eine stabile Sportroutine zu etablieren, während andere weiterhin mit der Umsetzung kämpfen. Aktuelle Forschungen und Expertenmeinungen belegen, dass erfolgreiches Training weniger eine Frage der Motivation als vielmehr der Routine ist. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass es durchschnittlich etwa 60 Tage dauert, bis eine neue Gewohnheit fest verankert ist und keine besondere Willensanstrengung mehr erfordert. In diesem ersten Teil einer zweiteiligen Serie beleuchten wir die wissenschaftlichen Grundlagen erfolgreicher Fitnessroutinen und wie diese in der Praxis angewendet werden können.
Die wissenschaftliche Grundlage von Fitnessroutinen
Der Aufbau nachhaltiger Fitness-Gewohnheiten ist ein Prozess, der tief in unserer Neurobiologie verankert ist. Routinen sind mehr als nur regelmässige Aktivitäten; sie repräsentieren neurologische Muster, die unser Gehirn effizienter arbeiten lassen. Nach neurowissenschaftlichen Erkenntnissen werden durch regelmässige Wiederholung einer Aktivität neuronale Bahnen gefestigt, was die Handlung zunehmend automatisiert und weniger kognitive Ressourcen beansprucht. Dieser neurologische Prozess erklärt, warum der Einstieg in ein Trainingsprogramm anfangs oft mühsam erscheint, sich aber mit der Zeit erleichtert.
Die Bedeutung langfristiger Sportroutinen geht weit über die unmittelbaren körperlichen Vorteile hinaus. Kurzfristige Veränderungen sind meist nicht ausreichend, um nachhaltige Erfolge zu erzielen.
„Egal welches Ziel du dir setzt – ob eine gesunde körperliche Verfassung, einen mentalen Ausgleich zu deinem stressigen Alltag oder eine gesündere Ernährung – alles braucht seine Zeit“
Der wesentliche Wert liegt in der Regelmässigkeit und Beständigkeit kleiner Schritte, die sich langfristig potenzieren und bedeutsame Veränderungen bewirken können.
Forschungen zur Trainingsmethodik unterstreichen zudem, dass die Konsistenz oft wichtiger ist als die Intensität. Dies wird in der Literatur-Analyse und -Synthese zur «besten» Trainingsmethode deutlich, die zeigt, dass regelmässiges Training mit moderater Intensität für die meisten Menschen langfristig erfolgversprechender ist als sporadische Hochintensitäts-Einheiten. Dabei spielt auch die individuelle Anpassung eine entscheidende Rolle, da Menschen unterschiedlich auf verschiedene Trainingsformen reagieren und persönliche Vorlieben den langfristigen Erfolg massgeblich beeinflussen.
Vom «Ich sollte trainieren» zum «Ich bin ein aktiver Mensch» – Der Identitätsansatz
Ein besonders kraftvolles Konzept zur Etablierung langfristiger Fitnessroutinen ist der identitätsorientierte Ansatz. Dieser geht weit über oberflächliche Ziele wie "bis zum Sommer abnehmen" hinaus.
Warum Identität wichtiger ist als Motivation
Die meisten Menschen scheitern langfristig, weil sie auf Motivation setzen – eine notorisch unzuverlässige Ressource. Identitätsbasierte Gewohnheiten hingegen wurzeln tiefer. Statt zu denken «Ich will Sport machen, um abzunehmen», verschiebt sich die Denkweise zu «Ich bin ein aktiver Mensch, und aktive Menschen bewegen sich regelmässig».
Diese Verschiebung mag subtil erscheinen, hat aber tiefgreifende Auswirkungen. Wenn das Training Teil deiner Identität wird, steht nicht mehr die Frage im Raum, ob du trainierst, sondern nur noch wann und wie.
Der Übergang zur neuen Identität – besonders für Sportmuffel
Gerade für Menschen ohne sportlichen Hintergrund oder selbsternannte «Sportmuffel» ist dieser Ansatz transformativ. Bei einem meiner Klienten konnte ich diese Entwicklung deutlich beobachten: Anfangs sprach er vom Training als etwas, das er "machen muss" – eine lästige Pflicht, die er sich selbst auferlegte. Nach konsequentem Training über mehrere Monate begann er jedoch, sich selbst anders wahrzunehmen.
Der entscheidende Moment kam, als er von einer Geburtstagsfeier erzählte und beiläufig erwähnte: «Ich habe allen gesagt, dass ich jetzt regelmässig trainiere.» Diese soziale Deklaration seiner neuen Identität markierte einen Wendepunkt. Er definierte sich nun nicht mehr als jemand, der Sport hasst, sondern als jemand, der regelmässig trainiert – ein subtiler, aber fundamentaler Unterschied.
Praktische Schritte zur Identitätsentwicklung
Beginne mit minimalen, aber konsequenten Schritten
Nicht die Intensität zählt anfangs, sondern die Regelmässigkeit. Zwei kurze 15-Minuten-Einheiten pro Woche, die du wirklich durchhältst, sind wertvoller als ambitionierte Pläne, die nach wenigen Wochen aufgegeben werden.Sprich über dein Training
Erzähle anderen von deinen Trainingsgewohnheiten. Diese soziale Verankerung verstärkt deine Selbstwahrnehmung und schafft eine positive Verbindlichkeit.Dokumentiere deine Kontinuität
Führe ein einfaches Trainingsprotokoll, das nicht Leistungen, sondern Konsistenz festhält. Jedes absolvierte Training ist ein weiterer Beweis deiner neuen Identität.Erkenne Fortschritte jenseits körperlicher Veränderungen
Achte auf subtile Veränderungen: besserer Schlaf, mehr Energie, verbesserte Stimmung, gesteigerte Alltagskompetenzen. Diese frühzeitigen Erfolge verstärken die neue Identität, lange bevor sichtbare körperliche Veränderungen eintreten.
Der identitätsorientierte Ansatz erklärt, warum manche Menschen nach jahrelanger Inaktivität plötzlich zu begeisterten Sportlern werden können – nicht durch mehr Willenskraft, sondern durch eine fundamentale Verschiebung in ihrer Selbstwahrnehmung.
Der wissenschaftlich fundierte Trainingsansatz nach Dr. Huberman
Als Stanford-Professor für Neurowissenschaften hat Dr. Andrew Huberman wertvolle Erkenntnisse zur Optimierung von Fitnessroutinen beigetragen. Sein Ansatz basiert auf einem tiefen Verständnis der Neurobiologie und verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischer Anwendbarkeit.
Ein zentraler Aspekt seines Konzepts ist die Rhythmisierung des Trainings über die Woche hinweg. Huberman strukturiert sein Training nach einem durchdachten wöchentlichen Plan:
Sonntag: 30-75 Minuten Zone-2-Kardiotraining (moderate Intensität)
Montag: Krafttraining mit Fokus auf Beine
Dienstag: Regeneration mit Hitze- und Kälteexposition
Mittwoch: Krafttraining für Oberkörper und Nacken
Donnerstag: Kardiovaskuläres Training
Freitag: Hochintensives Intervalltraining (HIIT)
Samstag: Krafttraining für Arme, Nacken und Waden
Dieses wohlüberlegte Programm demonstriert die Bedeutung von Periodisierung und Abwechslung in der Trainingsroutine. Es zeigt auch, wie wichtig die Einbettung des Trainings in eine feste Tagesstruktur ist.
Besonders bemerkenswert ist Hubermans Betonung der Mind-Body-Connection. Er integriert Techniken wie bewusstes Atmen, gezieltes Stretching sowie Entspannungsmethoden zur Verbesserung der Trainingsleistung und Regeneration. Diese ganzheitliche Herangehensweise berücksichtigt nicht nur die physischen Aspekte des Trainings, sondern auch die neurologischen und psychologischen Komponenten.
Auch seine tägliche Routine folgt einem klaren Muster: Er wacht natürlich zwischen 5:30 und 6:30 Uhr auf, beginnt mit ausreichender Hydration, gefolgt von Yoga Nidra und Sonnenlichtexposition. Durch diese konsequente Morgenroutine schafft er optimale Voraussetzungen für sein Training und reduziert die kognitive Belastung der Entscheidungsfindung – das Training wird zu einem selbstverständlichen Teil seines Tages.
Diese Strukturierung entspricht neurowissenschaftlichen Erkenntnissen: Routinen entlasten die exekutive Funktion und schaffen Raum für andere kognitive Aktivitäten. Das Training wird nicht mehr als zusätzliche Anstrengung wahrgenommen, sondern als natürlicher Teil des Tagesablaufs.
Persönliche Beobachtungen als Personal Trainer
Als Personal Trainer erlebe ich täglich, wie Menschen mit der Etablierung von Fitnessroutinen kämpfen. Manchmal höre ich von Kunden den Satz: "Ich bezahle dich eigentlich nur, damit ich regelmässig trainiere." Diese Aussage greift jedoch zu kurz. Natürlich ist die Verbindlichkeit eines festen Termins ein wichtiger Motivationsfaktor, aber dahinter steckt wesentlich mehr: Ein durchdachtes, individuelles Trainingsprogramm, das ich kontinuierlich an die Tagesform und Fortschritte anpasse, sowie die persönliche Begleitung, die weit über die reine "Überwachung" hinausgeht.
In meinem Bodyweight Basic Programm nutze ich verschiedene Strategien, um Teilnehmer bei der Routinenbildung zu unterstützen. Die aktive Kommunikation via Chat und Community-Forum spielt dabei eine zentrale Rolle. Ein sanftes Nachfragen, wenn mal ein Training ausfällt, oder ein motivierendes Feedback bei Erfolgen können entscheidende Anker sein. Dennoch bin ich mir bewusst: Am Ende ist jeder sein eigener Motivator.
Das Feedback einer Teilnehmerin nach drei Wochen Training fasst die Essenz der erfolgreichen Routinenbildung perfekt zusammen:
„Mir gefällt es, dass ich in 20 Minuten fertig bin und es fix im Wochenplan steht. Es ist wie Einkaufen 🛒 oder Putzen 🧹. Muss einfach erledigt werden. Manchmal mit mehr oder weniger Lust und Energie. Ich merke, dass es mir gut tut und bleibe deshalb dran.“
Genau diese Einstellung beschreibt den Übergang von der motivationsgetriebenen zur routinebasierten Aktivität. Das Training hat seinen Platz im Alltag gefunden – nicht als optionale Aktivität, sondern als fester Bestandteil der Wochenplanung. Und obwohl nicht jede Einheit mit Begeisterung beginnt, führt die Erfahrung der positiven Effekte zu einem selbstverstärkenden Kreislauf, der die Routine stabilisiert.
Im zweiten Teil dieser Serie werden wir uns mit praktischen Strategien zur Etablierung langfristiger Fitnessroutinen beschäftigen, die Rolle des Bodyweight-Trainings als idealen Einstieg betrachten und konkrete Tipps zum Umgang mit Hindernissen und Rückschlägen geben.
Quellen:
Urban Sports Club Blog: https://blog.urbansportsclub.com/de/gesundheit/langfristige-sportroutinen-etablieren/
Semantic Scholar: https://www.semanticscholar.org/paper/64f1674f3f06b5864d9f1e881a0c96990355d11e
Routine Club: https://routines.club/routine/andrew-huberman-workout
Fitness Toolkit: Protocol & Tools to Optimize Physical Health | Huberman Lab Podcast #94: https://youtu.be/q1Ss8sTbFBY?si=qFWvciwZP4i3spSw
Routine Club: https://routines.club/routine/andrew-huberman
Foodspring: https://www.foodspring.de/magazine/wann-trainieren-zur-routine-wird-workout-wednesday