Erfolgreiche Fitnessroutinen aufbauen (Teil 2): Praktische Strategien
Lesedauer: 7-8 Minuten
Im ersten Teil dieser Serie haben wir die wissenschaftlichen Grundlagen erfolgreicher Fitnessroutinen untersucht und die Bedeutung des identitätsorientierten Ansatzes kennengelernt. Wir haben gesehen, wie neurowissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere von Dr. Andrew Huberman, uns helfen können, das Training als festen Bestandteil unseres Alltags zu etablieren. In diesem zweiten Teil widmen wir uns nun praktischen Strategien und konkreten Tipps, die dir helfen, nachhaltige Fitnessroutinen aufzubauen und langfristig beizubehalten.
Bodyweight-Training als idealer Einstieg in nachhaltige Fitnessroutinen
Als Personal Trainer mit Fokus auf Bodyweight-Training habe ich festgestellt, dass diese Trainingsform besonders gut für den Aufbau nachhaltiger Fitnessroutinen geeignet ist. Anders als stark strukturierte, komplexe Trainingspläne bietet Bodyweight-Training einzigartige Vorteile für die Routinenbildung:
Einfacher Zugang ohne Barrieren: Ein Haupthindernis für regelmässiges Training ist oft die Logistik – der Weg zum Fitnessstudio, die Verfügbarkeit von Geräten oder das Wetter für Outdoor-Aktivitäten. Bodyweight-Training eliminiert diese Hürden. Es kann überall durchgeführt werden: zu Hause, im Hotelzimmer oder im Park. Diese Ortsunabhängigkeit erleichtert die Integration in den Alltag enorm.
Zeiteffizienz: Die Workouts im Bodyweight Basic Programm dauern nur etwa 20 Minuten. Diese Kürze macht es wesentlich einfacher, das Training in einen vollen Terminkalender zu integrieren. Selbst an stressigen Tagen bleibt das "keine Zeit"-Argument kraftlos.
Progressive Entwicklung: Ein gut strukturiertes Bodyweight-Programm bietet unendliche Progressionsmöglichkeiten – von einfachen Einsteigerübungen bis zu anspruchsvollen Variationen. Diese kontinuierliche Herausforderung hält die Motivation hoch und fördert die Routine durch sichtbare Fortschritte.
Ganzheitlicher Ansatz: Während viele Trainingsprogramme zwischen Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit trennen, vereint Bodyweight-Training alle diese Komponenten. Ein einziges Workout trainiert funktionale Kraft, verbessert die Ausdauer und fördert die Beweglichkeit. Diese Effizienz unterstützt die Konsistenz.
Für jeden geeignet – besonders für Sportmuffel: Ein wichtiger Punkt, den ich aus meiner Praxis hervorheben möchte: Nicht jeder ist von Natur aus sportbegeistert oder bringt eine natürliche Disziplin mit. Die echte Herausforderung bei Fitnessprogrammen besteht darin, sie so zu gestalten, dass sie auch für Fitnessmuffel, Menschen ohne sportlichen Hintergrund, Neueinsteiger oder Wiedereinsteiger funktionieren.
Ein 60-jähriger Klient von mir wiederholte über Monate hinweg, dass er Sport eigentlich nicht mag, aber wisse, dass er es «machen muss». Nach etwa einem Jahr Training gestand er mir, dass es anfange, tatsächlich Spass zu machen. Diese Entwicklung ist typisch:
„Die Routine kommt vor der Freude – nicht umgekehrt.“
Erst die regelmässige Praxis schafft die neurologischen Verbindungen, die das Training von einer lästigen Pflicht zu einer angenehmen Gewohnheit machen.
In meiner Erfahrung ist die Einfachheit des Bodyweight-Trainings sein grösster Vorteil für die Routinenbildung. Die Reduzierung von Entscheidungen – welches Gerät, welche Gewichte, welche Einstellung – entlastet die kognitive Kapazität und senkt die Einstiegshürde. Dies entspricht dem psychologischen Prinzip, dass weniger Entscheidungen zu mehr Konsistenz führen.
Praktische Strategien zur Etablierung langfristiger Fitnessroutinen
Die Wissenschaft der Gewohnheitsbildung bietet mehrere evidenzbasierte Strategien, um Fitnessroutinen erfolgreich zu etablieren und beizubehalten. Diese Ansätze berücksichtigen sowohl neurologische als auch psychologische Aspekte und können individuell angepasst werden.
Eine zentrale Strategie ist die Visualisierung von Zielen. Das foodspring-Magazin betont die Wichtigkeit, Trainingsziele sichtbar zu machen: "Im stressigen Alltag zwischen Freizeit und Job können Ziele in den Hintergrund geraten. Deshalb ist es umso wichtiger, regelmässig an dein Ziel erinnert zu werden." Dies kann durch schriftliche Formulierungen oder visuelle Darstellungen erfolgen, die an Orten platziert werden, wo man häufig damit konfrontiert wird. Diese visuelle Erinnerung aktiviert das limbische System und stärkt die emotionale Bindung zum Ziel, was wiederum die Motivation fördert.
Ein weiterer wichtiger Ansatz ist die graduelle Veränderung. Anstatt zu versuchen, mehrere Gewohnheiten gleichzeitig zu ändern, empfiehlt es sich, mit einer einzigen Änderung zu beginnen und diese zu festigen, bevor weitere hinzugefügt werden.
„Es reicht für den Anfang, wenn du nur eine einzige Gewohnheit auf einmal änderst“
Dieser Ansatz reduziert die kognitive Belastung und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit, da die verfügbare Willenskraft nicht auf multiple Veränderungen verteilt wird.
Die Schaffung eines Momentums ist ebenfalls entscheidend. Dabei geht es darum, eine positive Dynamik zu entwickeln, bei der jeder Trainingserfolg den nächsten erleichtert. Dieses Konzept basiert auf dem psychologischen Prinzip der Selbstwirksamkeit: Jede erfolgreiche Trainingseinheit stärkt das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, die Routine beizubehalten, was wiederum die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Erfolge erhöht.
„Mittlerweile sind drei Monate seit den Neujahrsvorsätzen vergangen und falls du es geschafft hast, sie bis jetzt einzuhalten, habe ich eine gute Neuigkeiten für dich: Du hast wahrscheinlich eine Routine für dich etabliert!“
Die Durchschnittsdauer von 60 Tagen bis zur Etablierung einer Gewohnheit verdeutlicht die Notwendigkeit von Durchhaltevermögen, insbesondere in den ersten Wochen.
Umgang mit Hindernissen und Rückschlägen
Ein realistischer Ansatz zur Etablierung von Fitnessroutinen muss auch den Umgang mit unvermeidlichen Hindernissen und Rückschlägen berücksichtigen. Die Forschung zeigt, dass die Fähigkeit, nach einem Ausrutscher wieder zur Routine zurückzukehren, oft entscheidender ist als die perfekte Einhaltung des Plans.
„Sei nicht zu hart zu dir selbst“
Diese Empfehlung basiert auf psychologischen Erkenntnissen, dass übermässige Selbstkritik nach einem verpassten Training die Wahrscheinlichkeit verringert, zur Routine zurückzukehren. Stattdessen sollte man kleine Erfolge feiern und sich nicht zu viel Druck machen. Diese positive Verstärkung fördert die Dopaminausschüttung im Gehirn und stärkt die neuronalen Verbindungen, die mit der Aktivität assoziiert sind.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Vorbereitung auf typische Hindernisse. Stelle dir im Voraus Fragen wie: «Was tue ich, wenn ich krank werde?», «Wie handle ich, wenn ich auf Geschäftsreise bin?» oder «Was ist mein Plan B, wenn das Wetter schlecht ist?» Diese vorausschauende Planung ermöglicht es, flexibel zu reagieren, ohne die Gesamtroutine zu gefährden.
Die Minimal-Einheit-Technik hat sich ebenfalls als wirksam erwiesen. An Tagen, an denen die Motivation besonders gering ist, setze dir das Ziel, nur eine minimale Version deines Trainings zu absolvieren – vielleicht nur 5 Minuten statt der geplanten 20. Oft führt der Beginn der Aktivität zu gesteigerter Motivation, und du trainierst länger als geplant. Selbst wenn es bei den 5 Minuten bleibt, hast du deine Routine aufrechterhalten, was für die neurologische Verankerung entscheidend ist.
Die Rolle der sozialen Unterstützung und Umgebungsgestaltung
Die Gestaltung des sozialen Umfelds und der physischen Umgebung spielt eine entscheidende Rolle bei der Etablierung von Fitnessroutinen. Soziale Unterstützung kann die Motivation und Adhärenz signifikant verbessern, wie zahlreiche Studien belegen. Ein unterstützendes Umfeld hilft, die Verantwortlichkeit zu erhöhen und bietet emotionale Unterstützung während Phasen nachlassender Motivation.
Konkrete Strategien zur Nutzung sozialer Unterstützung umfassen:
Training mit einem Partner oder in einer Gruppe: Dies schafft Verbindlichkeit und macht es schwieriger, Trainingseinheiten auszulassen.
Beitritt zu einer Online-Community: Plattformen wie die Community-Funktion im Bodyweight Basic Programm ermöglichen Austausch, gegenseitige Motivation und das Teilen von Erfolgen.
Öffentliches Commitment: Das Teilen deiner Trainingsziele und -fortschritte in sozialen Medien oder mit Freunden und Familie schafft eine Form der sozialen Verantwortlichkeit.
Die strategische Gestaltung der physischen Umgebung kann ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf die Trainingsroutine haben. Das Entfernen von Hindernissen, die das Training erschweren könnten, und das Hinzufügen von Auslösern, die das Training fördern, sind wirksame Strategien zur Gewohnheitsbildung. Praktische Beispiele hierfür sind:
Das Bereitstellen der Trainingsbekleidung am Vorabend
Die Schaffung eines dedizieren Trainingsbereichs zu Hause, selbst wenn es nur eine Ecke im Wohnzimmer ist
Das Platzieren von Trainingsgeräten an gut sichtbaren Orten
Die Nutzung von Kalendererinnerungen oder Alarmen zur festgelegten Trainingszeit
Diese Umgebungsgestaltung reduziert die kognitive Belastung der Entscheidungsfindung und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Training tatsächlich durchgeführt wird.
Die Personalisierung von Fitnessroutinen
Eine zentrale Erkenntnis der Forschung ist, dass die erfolgreichsten Fitnessroutinen diejenigen sind, die an die individuellen Bedürfnisse, Vorlieben und Lebensumstände angepasst sind. Die «beste» Trainingsmethode ist letztendlich die, die konsistent beibehalten werden kann, wie die Literatur-Analyse und -Synthese zur optimalen Trainingsmethode unterstreicht.
Bei der Personalisierung sollten verschiedene Faktoren berücksichtigt werden:
Zeitverfügbarkeit: Wie viel Zeit kann realistischerweise für Training aufgewendet werden? Für manche funktionieren mehrere kurze Sessions besser als ein langes Workout.
Persönliche Vorlieben: Welche Bewegungsformen machen tatsächlich Freude oder sind zumindest nicht unangenehm? Das beste Training ist das, das auch wirklich durchgeführt wird.
Körperliche Einschränkungen: Bestehende Verletzungen oder gesundheitliche Bedingungen müssen bei der Trainingsgestaltung berücksichtigt werden, um Überbelastungen zu vermeiden.
Trainingsziele: Obwohl der Fokus auf Routinenbildung liegt, sollten die individuellen Ziele – ob Kraftaufbau, Gewichtsmanagement oder Beweglichkeit – die Trainingsgestaltung beeinflussen.
Diese Personalisierung erstreckt sich auch auf die zeitliche Planung des Trainings. Während einige Menschen am Morgen am leistungsfähigsten sind, bevorzugen andere das Training am Nachmittag oder Abend. Die Abstimmung der Trainingszeit mit dem persönlichen Biorhythmus kann die Leistungsfähigkeit und Konsistenz erheblich verbessern.
Die Integration von Fitness in den Alltag
Eine erfolgreiche langfristige Fitnessroutine zeichnet sich dadurch aus, dass sie nahtlos in den Alltag integriert ist und nicht als separate, aufgezwungene Aktivität wahrgenommen wird. Diese Integration erfordert eine bewusste Planung und Anpassung des Lebensstils.
Eine effektive Strategie ist die Verknüpfung des Trainings mit bereits bestehenden Gewohnheiten, ein Konzept, das in der Verhaltenspsychologie als «Habit Stacking» bekannt ist. Indem man das Training unmittelbar vor oder nach einer etablierten Gewohnheit einplant, kann man die neurologische Verbindung stärken und die Wahrscheinlichkeit der Ausführung erhöhen. Beispiele für Habit Stacking sind:
Nach dem Morgenkaffee trainiere ich 20 Minuten
Bevor ich abends dusche, mache ich mein Workout
Direkt nach der Arbeit, noch bevor ich nach Hause fahre, gehe ich joggen
Diese Methode nutzt vorhandene neuronale Bahnen, um neue Gewohnheiten zu verankern.
Ein weiterer Ansatz ist die Mikro-Integration, bei der kurze Bewegungseinheiten über den Tag verteilt werden. Statt eines 30-minütigen Workouts am Stück könnten drei 10-minütige Einheiten zu verschiedenen Tageszeiten durchgeführt werden. Dies kann besonders effektiv sein für Menschen mit unregelmässigen Zeitplänen oder hoher Arbeitsbelastung.
Auch die Anpassung des sozialen Umfelds kann die Integration erleichtern. Indem man Freunde mit ähnlichen Fitnesszielen findet oder Familienaktivitäten mit körperlicher Aktivität verbindet, wird das Training zu einem integralen Bestandteil des sozialen Lebens. Dies reduziert potenzielle Konflikte zwischen sozialen Verpflichtungen und Trainingszielen und schafft positive Verstärkung durch gemeinsame Erfahrungen.
Fazit: Der Weg zur nachhaltigen Fitnessroutine
Die Etablierung und Aufrechterhaltung einer langfristigen Fitnessroutine ist ein komplexer Prozess, der wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Neurobiologie, Psychologie und Sportwissenschaft vereint. Die Forschung zeigt deutlich, dass der Schlüssel zum Erfolg nicht in der Suche nach der "perfekten" Trainingsmethode liegt, sondern in der Schaffung nachhaltiger Gewohnheiten, die individuell angepasst und in den Alltag integriert sind.
Im ersten Teil dieser Serie haben wir die wissenschaftlichen Grundlagen erfolgreicher Fitnessroutinen und die Bedeutung des identitätsorientierten Ansatzes kennengelernt. Im zweiten Teil haben wir nun praktische Strategien zur Etablierung und Aufrechterhaltung dieser Routinen betrachtet.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig: Erfolgreiche Fitnessroutinen basieren auf neurologischen Prozessen, die Zeit benötigen, um sich zu entwickeln. Die durchschnittliche Dauer von 60 Tagen bis zur festen Etablierung einer Gewohnheit verdeutlicht die Notwendigkeit von Durchhaltevermögen, besonders in den ersten Wochen. Die gute Nachricht ist, dass mit den richtigen Strategien und einem wissenschaftlich fundierten Ansatz jeder in der Lage ist, eine nachhaltige Fitnessroutine zu entwickeln, die langfristige Gesundheitsvorteile bietet und das allgemeine Wohlbefinden steigert.
Der Weg zu einer erfolgreichen Fitnessroutine ist letztendlich ein persönlicher Prozess der Selbstentdeckung und Anpassung. Indem man wissenschaftliche Erkenntnisse mit individuellen Bedürfnissen und Lebensumständen verbindet, kann man eine Trainingsroutine schaffen, die nicht nur körperliche Fitness fördert, sondern auch zu einem erfüllteren und energiegeladeneren Leben beiträgt.
Quellen:
Urban Sports Club Blog: https://blog.urbansportsclub.com/de/gesundheit/langfristige-sportroutinen-etablieren/
Semantic Scholar: https://www.semanticscholar.org/paper/64f1674f3f06b5864d9f1e881a0c96990355d11e
Routine Club: https://routines.club/routine/andrew-huberman-workout
Fitness Toolkit: Protocol & Tools to Optimize Physical Health | Huberman Lab Podcast #94: https://youtu.be/q1Ss8sTbFBY?si=qFWvciwZP4i3spSw
Routine Club: https://routines.club/routine/andrew-huberman
Foodspring: https://www.foodspring.de/magazine/wann-trainieren-zur-routine-wird-workout-wednesday